Klimagerechtigkeit

Klimapolitischer Forderungskatalog

Präambel

Klimakrise sowie globale Ungleichheit und Ungerechtigkeit bei der Verteilung ihrer Auswirkungen und Ursachen sind aktuell viel diskutierte gesellschaftliche Probleme. Es besteht dabei ein breiter gesellschaftlicher Konsens über die Dringlichkeit, sich mit Fragen gesellschaftlicher Transformation und zukünftigen Mensch-Umwelt-Beziehungen auseinanderzusetzen.

Die sächsischen Hochschulen sind für uns als deren Angehörige, aber auch für den Freistaat Sachsen, wichtige Institutionen, die bei der Gestaltung gesellschaftlicher Veränderungen eine entscheidende Rolle einnehmen. Sie sind dabei als Hochschulen nicht nur ein Diskussionsraum und ein Ort, an dem an aktuellen Herausforderungen geforscht wird. Sie nehmen als Symbol für Innovation eine Vorbildfunktion ein. Weiterhin haben sie die Möglichkeit zu zeigen, wie sich Klimagerechtigkeit – als Antwort auf die Herausforderungen der Klimakrise und den damit verbundenen globalen Ungleichheiten – konkret angehen und mit einem erfolgreichem Hochschulbetrieb vereinbaren lässt.

Die aufgegriffenen Handlungsfelder zeigen ein Verständnis der Klimakrise auf, das diese nicht als ein reines Umweltproblem, sondern als mit gesellschaftlichen Prozessen verschränkt und in Wechselwirkung stehend, begreift. Die Forderungen sind mehr als eine Position der Studierendenschaften. Sie zeigen den Handlungsbedarf an unseren Hochschulen und darüber hinaus auf. Wir wollen damit erreichen, dass die Hochschulen mit ihrer exponierten gesellschaftlichen Stellung zu Institutionen werden, auf die wir, wenn es um Fragen der Klimakrise und globaler Gerechtigkeit geht, gerne verweisen und sie als positives Beispiel anführen.

Wir fordern…

Außenwirkung und politische Positionierung

1 … die Universitätsleitungen bzw. die Landesrektor*innenkonferenz (LRK) auf, die Klimakrise als sozialökologische Krise anzuerkennen und in ihre Grundordnungen aufzunehmen, dass sie sich verpflichten, wissenschaftliche Grundlagen für die Bearbeitung der sozialökologischen Krise zu schaffen und darauf aufbauend als Vorbild agieren. Des Weiteren sollen sie sich bei der Novellierung des Sächsischen Hochschulfreiheitsgesetz dafür einsetzen diese Verpflichtung gesetzlich festzuschreiben.

2 …, dass die Hochschulen bzw. die LRK medial auf die Dringlichkeit der Klimakrise hinweisen und dies mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen begründen. Wir fordern, dass sie im Zuge dessen Klimagerechtigkeit und -verantwortung als ein Thema verstehen, bei dem sie ihren Bildungsauftrag in die Gesellschaft einbringen und bspw. im Rahmen von Ausstellungen und Diskussionen auch über die Campus hinaus kundtun. Dementsprechend wäre unter anderem die Etablierung einer Nachhaltigkeitswoche im Semester, z.B. mit dem Format einer Public Climate School, zu begrüßen.
3 … die Hochschulen bzw. die LRK dazu auf, die Klimakrise als Fluchtursache anzuerkennen, deren Auswirkungen weiter zu erforschen, und sich dahingehend in ihren Grundordnungen für eine weltoffene und auf gegenseitige Akzeptanz ausgerichtete Gesellschaft sowie eine Willkommens- und Anerkennungskultur einzusetzen.

4 … die Universitätsleitungen bzw. die LRK darauf aufmerksam zu machen, dass die ökologische Krise eindeutig mit als Produkt der kapitalistischen Wirtschaftsweise einher geht und wir somit eine Transformation zu einem nachhaltigen, bedürfnisorientierten Wirtschaftssystem benötigen.

Campusgestaltung

5 … die Hochschulen dazu auf, ruhige, grüne und lebenswerte Campus zu schaffen. Dafür wünschen wir uns konkret große Grün- und Wasserflächen auf den Campus, insekten- und vogelfreundliche Hochschulen, mehr Baum- und Grünpflanzungen sowie Fassadenbegrünung auf den Campus. Gerade die Baum-, Grünpflanzung und Fassadenbegrünung soll gezielt für eine CO2-Kompensation angelegt werden.

6 … niedrigschwellige umfangreiche Möglichkeiten, um die Flächen der Hochschulen mitzugestalten. Hierbei muss viel Gestaltungsspielraum für Studierende zugelassen werden, um campusbelebend zu wirken. Es müssen ausreichend Räume für studentisches Engagement zur Verfügung gestellt werden, in denen kollektiver Austausch und selbstorganisierte Bildung durch und für Studierende ermöglicht wird.

7 … den Ökostromanteil der Hochschulen auf 100% zu erhöhen, ihre Einrichtungen bis 2025 klimaneutral zu gestalten und das Erreichen des Labels Effizienz Plus als Ziel zu formulieren. Dafür sind konkrete Maßnahmen, wie zum Beispiel die aktive Nutzung geeigneter Gebäudedächer zum Auf- und Ausbau von Solar- sowie Photovoltaikanlagen einzuleiten.

8 … die Hochschulen auf, ihren Energieverbrauch zu reduzieren. Dazu beitragen können vor allem das verstärkte Voranbringen energieeffizienter Gebäudegestaltungen/-sanierungen, des intelligenten Gebäudemanagements sowie der ressourcenschonenden Internetnutzung.

9 … die Studierendenwerke Sachsens auf die folgenden Maßnahmen in den Einrichtungen der Hochschulgastronomie anzugehen:

9.1 Es sollte jeden Tag mindestens ein veganes Hauptgericht zu jeder Mahlzeit in allen Mensen angeboten werden, welches nicht mehr kosten darf als das billigste nicht vegetarische Gericht. Insgesamt muss ein nahrhaftes veganes Angebot überwiegen.

9.2 Genießbare Lebensmittel sollten nicht in der Tonne landen. Dazu stellen wir uns zum Beispiel eine Infokampagne gegen Lebensmittelverschwendung vor. Setzen Sie sich des Weiteren dafür ein, dass übrige Gerichte und Zutaten kostenlos abgeholt und weiterverwendet werden können. Als geeignete Maßnahme, um Abfälle zu reduzieren, bietet sich zusätzlich die Etablierung eines Abstimmungstool für die Mensagerichte an, um die Möglichkeit zu haben Mengen besser planen und so ressourcensparend einkaufen zu können.

9.3 Seien Sie transparent. Veröffentlichen Sie Statistiken zur Entwicklung von Angebot und Nachfrage der verschiedenen Ernährungsstile, Kategorien und verwendeten Zutaten. Dazu gehören auch die Berechnung und gut sichtbare Darstellung der CO2-Bilanzen aller Gerichte. In diesem Zuge sollten zudem die Nährwertangaben der Gerichte frei zugänglich sein.

9.4 Achten Sie beim Einkauf auf die Regionalität, Saisonalität und Bio-Qualität Ihrer Produkte.

9.5 Unterstützen Sie den Ausbau von Solidarischen Landwirtschaften, damit eine überwiegende Versorgung der Mensen durch diese möglich wird. Ökologische, saisonale und faire Produkte wären damit glaubwürdig umsetzbar.

9.6 Bieten Sie an allen Ausgaben sowie für Kuchen und Kaffeevariationen ein überwiegend alternatives Angebot zu Milchprodukten an und treiben Sie eine Reduktion von Milchprodukten durch Aufklärung über die emissionslastige Fleisch- und Milchindustrie voran. Außerdem fordern wir die Ausweitung des veganen Süßwaren-, Gebäck- und Snackangebots, sowie ein größeres Angebot an Süßwaren mit Fairtrade Siegel.

Lehre und Forschung

10 … alle Wissenschaftler*innen Sachsens auf, in ihrer Lehre die Themen Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit zu stärken und bspw. in der pädagogischen Ausbildung das UNESCO-Weltaktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) umzusetzen. Dies muss auch im Ernennungsprozess von Lehrenden berücksichtigt werden.

11 … in die Qualitätsstandards für Lehre und Studium aufzunehmen, dass Studiengänge Vorlesungen und Seminare zu den Auswirkungen der Klimakrise und Klimagerechtigkeit enthalten sollen. Diese sollen interdisziplinär gestaltet und verpflichtend im Studienablauf, z.B. als überfachlicher Wahlbereich, integriert sein. Bachelor und Masterstudiengänge mit umweltthematischen Ausrichtungen sollten des Weiteren zusätzlich gefördert und entsprechende Masterangebote ausweitet werden, sodass die Studierendenzahl in diesen Studiengängen gesteigert werden kann. Außerdem ist eine umfangreiche Reflexion der eigenen Lehre unabdingbar, da die Lehre als Basis von Gesellschaft und Wirtschaft als Mitverursacher der Klimakrise betrachtet werden muss.

12 … die Rektorate der Hochschulen auf, in der Forschung Priorität auf die Themen Nachhaltigkeit, Klimagerechtigkeit, Lösung der sozialökologischen Krise und dementsprechend alternativen, nicht profitorientierten, sondern an Mensch und Natur ausgerichteten, Wirtschaftsweisen, insbesondere im Hinblick auf den technischen Fortschritt in diesem Gebiet, zu legen. Dies kann bspw. über interdisziplinäre Graduiertenakademien erreicht werden.

13 … mehr Diversität und Geschlechtergerechtigkeit in Forschung und Lehre, sowie verstärkt Aufmerksamkeit für diese Themen zu schaffen, um letztendlich auf eine gerechtere Verteilung von Ressourcen und dadurch Möglichkeiten des Klimaschutzes hinzuarbeiten.

Struktur

14 … zum Erreichen der Klimaneutralität und zur Förderung von Klimagerechtigkeit angemessene Strukturen. Dazu muss das Thema z.B. durch ein*e Prorektor*in oder eigene Senatskommission in den Leitungsebenen der Hochschule verankert werden. Weiterhin könnte auch die Finanzierung von unabhängigen und an den Campus gut sichtbaren Green Office/Nachhaltigkeitsbüros zur Vernetzung engagierter Hochschulangehöriger, zur Informationssammlung und -verbreitung sowie zur Veranstaltungsorganisation zu Themen der Klimagerechtigkeit gefördert werden. Darüber hinaus sollte es entsprechende Verwaltungseinheiten für diese Themen geben und sie mit genügend Personal- und Sachmittel ausgestattet sein.

15 … ein generelles Überdenken des Reiseverhaltens. Dazu müssen verbindliche Weiterbildungen sowie Informations- und Diskussionsformate etabliert werden. Unter Berücksichtigung vorrangig ökologischer sowie sozialer Kriterien müssen Notwendigkeit der Reise, Reisezeit und Reisedistanz kritisch auf ihre Verhältnismäßigkeit geprüft werden. Inlandsflüge sind dabei strikt abzulehnen. Als umweltfreundliche Alternative zu Dienstreisen müssen die Digitalisierung von Meetings und Konferenzen sowie die dafür notwendige Ausstattung gefördert werden. Für durch Reisen entstehende CO2-Äquivalente muss ein Kompensationskonzept erarbeitet und dessen Mehrkosten bei der Wahl der Transportmittel berücksichtigt werden.

16 … die Hochschulen und Studierendenwerke auf sich für eine bessere Förderung des Semestertickets und die Erweiterung dessen Gültigkeitsbereichs einsetzen. Eine deutschlandweite Gültigkeit ist anzustreben, um Zugreisen gegenüber Reisen mit dem Flugzeug zu begünstigen. Außerdem soll die Forschung für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und die Unterstützung dessen ein Kernanliegen der sächsischen Hochschulen sein. Sie müssen sich weiterhin für die Reduzierung des Individualverkehrs einsetzen und dieses Gebot auch in der Zusammenarbeit mit Unternehmen berücksichtigen.

17 … die Erarbeitung von Kriterien im Sinne der Divestment-Bewegung zum Ausschluss von Investitionen durch mit den Hochschulen verbundener Institutionen in Unternehmen, die auf nicht nachhaltige Energien setzen. Das schließt Exploration, Förderung, Abbau und Verstromung fossiler und nuklearer Energieträger ein. Die Kriterien sind weiterhin auf Unternehmen anzuwenden, die für die Unterstützung und/oder Tolerierung menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen verantwortlich sind, deren Zweck die Herstellung und der Vertrieb von Kriegswaffen ist oder von denen unlautere Geschäftspraktiken bekannt sind. Zur Sicherstellung der Umsetzung müssen Investitionen transparent sein.

Glossar

Im Folgenden sollen einige den Forderungen zentrale Begriffe kurz erklärt werden, um Uneinigkeit aufgrund verschiedener Begriffsverständnisse auszuschließen.

Sozialökologische Krise: Der Begriff sozialökologisch wird verwendet, um den engen Zusammenhang von ökologischen und sozialen Problemen zu verdeutlichen. Zugleich wird mit dem Begriff der Krise die Dringlichkeit vieler Problemlagen betont. Unter der sozialökologischen Krise wird eine Vielzahl von Problemen in den Mensch-Umweltbeziehungen wie der „Klimawandel, der Verlust an Biodiversität, die Bodendegradation, Wassermangel und -verschmutzung oder die Ressourcenverknappung“ [1] zusammengefasst.

Klimagerechtigkeit: Konzept, das nicht nur die ökologischen Auswirkungen des Klimawandels in den Blick nimmt, „sondern damit zusammenhängend auch tiefgreifende soziale, gesundheitlich und ökonomische Folgen. Dabei sind nicht alle Menschen, Regionen und Systeme gleich anfällig. 9 von 10 der am meisten betroffenen Länder sind Länder des Globalen Südens. Schwache Infrastruktur, Abhängigkeit von Landwirtschaft und Fischerei, Ressourcenknappheit sowie klimatische Gefährdungszonen machen diese Länder wesentlich anfälliger für Extremwetterereignisse, Dürren, Wasserknappheit oder Meeresspiegelanstieg. Daneben bestimmen auch Geschlecht, Alter, Herkunft, Klasse oder politisches Mitspracherecht darüber, wie stark Menschen betroffen sind“ [2]. Klimagerechtigkeit ist weiterhin als normatives Konzept zu betrachten, das den gegenwärtigen anthropogenen Klimawandel als ein ethisches und politisches Problem, anstatt lediglich als eine ökologische und technische Herausforderung erachtet [3].

Nachhaltigkeit: „Nachhaltigkeit ist ein Handlungsprinzip zur Ressourcen-Nutzung, bei dem eine dauerhafte Bedürfnisbefriedigung durch die Bewahrung der natürlichen Regenerationsfähigkeit der beteiligten Systeme (vor allem von Lebewesen und Ökosystemen) gewährleistet werden soll“[4]. Die Brundtlandkommission beschreibt nachhaltige Entwicklung in einem Generationskontext als „eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ [5]. Nachhaltigkeit zu fordern, bedeutet daher die Forderung sowohl inter- als auch intragenerationeller Gerechtigkeit.

BNE: Bildung für Nachhaltige Entwicklung ist ein umfassender Aktionsplan, der von der UNESCO entwickelt wurde und Bestandteil der Sustainable Development Goals ist. Er gibt Ideen und Handlungsanweisungen für gesellschaftliche Akteur*innen verschiedener Ebenen. Ziel ist es zum einen, das Wissen um Nachhaltigkeit und die Fähigkeiten zu nachhaltigem Handeln zu stärken, aber auch Bildung und Entwicklung an sich nachhaltiger zu gestalten [6].

Diversity: Diversität bedeutet laut Duden Vielfalt oder Vielfältigkeit. In den Sozialwissenschaften beschreibt der Begriff „individuelle, soziale und strukturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten“[7] zwischen Menschen oder ganzen Gruppen. Dies können unterschiedliche Lebensentwürfe, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Religion, Hautfarbe u.v.a. sein.

Intersektionalität: „Intersektionalität veranschaulicht, dass sich Formen der Unterdrückung und Benachteiligung nicht einfach aneinanderreihen lassen, sondern in ihren Verschränkungen und Wechselwirkungen Bedeutung bekommen.“ [8] Soziale Kategorisierungen wie Geschlecht, Herkunft, Alter, Klasse, Ability, ethnische Zuschreibungen oder Sexualität „wirken nicht allein, sondern vor allem im Zusammenspiel mit den anderen. Die intersektionale Perspektive erlaubt, vielfältige Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse miteinzubeziehen, die zum Beispiel über die Kategorie Geschlecht allein nicht erklärt werden können [9].

Umweltschutz: Er umfasst die Gesamtheit der (individuellen) Handlungen und (institutionellen) Maßnahmen zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung notwendiger Lebensgrundlagen von Pflanzen, Tieren und Menschen [10].

Divestment-Bewegung: Abzug von Investitionen aus unethischen Aktien, Anleihen oder Investmentfonds.

[1] https://www.bmbf.de/SharedDocs/Publikationen/de/bmbf/7/31075_Sozial-oekologische_Forschung.html
[2] https://klimagerechtigkeit-jetzt.ch/
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Klimagerechtigkeit
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Nachhaltigkeit
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Brundtland-Bericht#cite_note-3
[6] https://www.bne-portal.de/bne/de/weltweit/weltaktionsprogramm-international/weltaktionsprogramm-international.html
[7] https://erwachsenenbildung.at/themen/diversitymanagement/
[8] https://www.gwi-boell.de/de/intersektionalitaet
[9] ebd.
[10] https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/umweltschutz/8421

Der Katalog ist auch als .pdf verfügbar.